Die Fotografie wird in diesem Jahr (1996) 162 Jahre alt. Schon 1836, dem Jahr, in dem die Daguerrotypie in Paris der Weltöffentlichkeit präsentiert und übergeben wurde, gab es Stimmen, die der Malerei ein baldiges Ende voraussagten, zumindest den Teilen der Malerei, die nur mit handwerklichem Können, aber ohne Geist und Gedanken ausgeführt wurden. Diese Prophezeiung sollte sich zwar nicht sofort bewahrheiten, aber in Bereichen wie der Porträtmalerei und dem Porträtscherenschnitt verdrängte das neue Verfahren doch schon bald diese tradierten Medien. Die weitere Beziehung zwischen Malerei und Fotografie ist wechselvoll. Waren die Fotografen der ersten Stunde fast ausschließlich Zeichner und Maler, so konnten sich später die Malerfürsten nur insgeheim der Lichtbildnerei bedienen, denn die Verwendung eines mechanischen Hilfsmittels entsprach nicht der Vorstellung vom Genie. Um die Jahrhundertwende orientierte sich die Kunstfotografie am Impressionismus, eins der Beispiele für die Übernahme bildhafter Züge aus dem älteren Medium.
Die bedeutendste Einwirkung der Fotografie auf die Malerei aber dürfte darin bestanden haben, daß die Malerei vom Zwang zur Abbildung befreit wurde. Wahrscheinlich hätte sich nie eine abstrakte, korrekter gesagt ungegenständliche Malerei entwickeln können, wenn nicht ein neues Medium, die Fotografie, das gesellschaftliche Bedürfnis nach Wiedergabe von Realität übernommen hätte. Der sich dadurch der Malerei eröffnende Freiraum wurde genutzt, neue Bildsprachen zu entwicklen; Teilaspekte - wie Komposition, Oberflächenstruktur oder Farbzusammenstellungen - die im ehemals abbildenden Gemälde nur dienenden, der Darstellung untergeordneten Charakter hatten, konnten von den Künstlern zum einzigen Bildgegenstand erhoben werden. Mit der Übernahme der Abbildfunktion durch Fotografie, Film und Fernsehen eröffnete sich für die Malerei die Möglichkeit, sich zum Zweck in sich zu entwickeln und die Problematisierung von Farbe oder Komposition zum absoluten Gegenstand des Gemäldes zu erheben. Das Bild, die Kunst wurden autonom.
Selbstverständlich blieb diese Entwicklung seinerseits nicht ohne Einfluß auf die Fotografie, insbesondere die Kunstfotografie, die Fotografie von Künstlern. Christian Schad und in seiner Nachfolge Moholy-Nagy, Man Ray u.a. schufen seit 1918 in der Dunkelkammer Fotoarbeiten, die keine Realität mehr naturalistisch abbilden wollten, sondern mit abgelichteten Formen spielerisch eine Bildrealität komponierten. Nicht in der Dunkelkammer, sondern konventionell mit der Kamera gestaltete seit den 30er Jahren Otto Alfred Schulze, besser bekannt als Wols, abstrakte und surreale Bildkompositionen neben seinen Gemälden und Zeichnungen. Die Grenzen zwischen den Bildmedien wurden unscharf, Grenzgänger zwischen Malerei und Fotografie bestimmen die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts.
In diesem Strang ordnen sich die fotografischen Bilder von Frank Baquet ein. Seine Arbeiten der letzten Jahre leugnen jeglichen Abbildcharakter. Entgegen dem üblichen Interesse am wiedergegebenen Gegenstand, spielt es in seinen Kompositionen keine Rolle, was aufgenommen und wo es aufgenommen wurde. Trotzdem besteht der Künstler darauf, daß er Realität abbildet; eine Realität wie sie uns tagtäglich begegnet, die aber jenseits unserer alltäglichen Sehgewohnheit liegt. Baquets Fotografien sind nicht gestellt oder inszeniert, und er betont, daß er weder das Filmmaterial noch die Vergrößerung in der Dunkelkammer manipuliert. Er bedient sich nur eines Mittels der Verfremdung: Als Ausgangsmaterial für seine Schwarzweiß-Abzüge verwendet er keine Schwarzweiß-Negative, sondern Color-Diapositive, was nach den Gesetzen der Fotochemie zur Folge hat, daß ein in der Natur und im Dia hellblauer Himmel in der Vergrößerung fast schwarz erscheint, ein dunkelroter Strich dagegen als weiße Linie wiedergegeben wird.
Stellt die Schwarzweiß-Fotografie gegenüber der Farbfotografie schon eine Abstraktion der aufgenommenen Realität dar, so wird durch die Umkehrung der Helligkeitswerte das Bild abermals den alltäglichen Sehgewohnheiten entrückt. Aber das würde noch nicht ausreichen, den Fotoabzug wie ein ungegenständliches Schwarzweiß-Gemälde aussehen zu lassen. Unser Auge vermag mit etwas Übung durchaus auch im Negativbild den wiedergegebenen Gegenstand zu erkennen. Baquet schließt durch die Wahl des Ausschnittes, die Komposition des Bildes die Möglichkeit weitgehend aus, das fotografierte Motiv zu identifizieren. Bei den abgelichteten Objekten handelt es sich um rissigen Putz, Asphalt, Graffitispuren und Plakatreste. Da es schon mehrfach durch die hiesige Presse gegangen ist, verrate ich kein Geheimnis, die Motive für seine mit dem Kunstpreis des Rhein-Sieg-Kreises ausgezeichneten Werke fand der Künstler auf und hinter den Scheiben von Wartehäuschen.
Damit komme ich zu einem Charakteristikum, das die Arbeiten Baquets von denkbaren Schwarzweiß-Gemälden unterscheidet, das sie als Fotoarbeiten auszeichnet. Die aufgenommenen Scheiben besitzen zwei Seiten, auf denen sie verschmutzt, beschmiert beklebt und zerkratzt sein können. Focusiert die Kamera die Vorderseite, so erscheint die nur wenige Millimeter zurückliegende Seite der Scheibe mit ihren Strukturen schon leicht unscharf, und je weiter im Hintergrund sich noch Objekte befinden, um so verschwommener werden sie im Bild wiedergegeben. Die übereinanderliegenden Schichtungen von Kratzern, Staub, Farb- und Kleberesten, das Spiel der Sonne in diesen Strukturen, die Staffelung der einzelnen Ebenen hintereinander erzeugen in ihrer unterschiedlichen Bildschärfe eine so fein abgestufte Bildtiefe, wie sie mit malerischen Mitteln wohl kaum realisiert werden könnte. So sehr die Arbeiten Baquets in ihrem Bildaufbau und ihrer Motivik an verwandte Auffassungen in der Malerei erinnern mögen, so sind sie doch durch das Spiel der Bildschärfe eindeutig als Fotoarbeiten gekennzeichnet.
Laudatio zur Verleihung des Kunstpreises des Rhein-Sieg-Kreises 1995 von Dr. Herbert Pogt, Von der Heydt Museum, Wuppertal
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